Muss sich die Schule um alles kümmern? Ist es sogar ihre ureigenste Aufgabe?

Eine 17-jährige Schülerin hat eine Debatte in der Bildungspolitik ausgelöst. Sie schreibt auf Twitter, sie sei fast 18 Jahre alt, könne eine Gedichtanalyse schreiben, und das in vier Sprachen, aber von Steuern, Miete oder Versicherungen habe sie keine Ahnung.

Die Diskussion dreht sich nun darum, ob die Kinder in der Schule aufs Leben vorbereitet werden, wie es in der Antike Seneca formuliert hat, und wie es uns immer wieder als Motivationsanreiz vorgehalten wurde, wenn wir mal wieder überhaupt nicht einsahen, wozu es denn nützen solle zu wissen, wann Beethoven oder Mozart gelebt haben, ob sie sich vielleicht sogar gekannt haben könnten, und warum Goethe mal in Weimar war. "Non scolae, sed vitae discimus." Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.

Das scheint in Deutschland so sehr nicht unterstützt zu werden, wie die 2014 veröffentlichte Auswertung der PISA-Studie an den Tag brachte. 20% der deutschen Schüler sind lt. Studie damit überfordert, eine U-Bahn-Karte zu ziehen, und die Fähigkeit, sich in die Funktion eines unbekannten technischen Gerätes hineinzufinden, beherrschen nur 13% der Schüler. In Australien, Finnland und Südkorea ist man uns da weit voraus.
Die OECD empfiehlt den Schulen, mehr Projektarbeit und Freiraum für selbständiges Arbeiten, damit ökonomische Fähigkeiten gefördert werden könnten. (Siehe dazu auch: Blog St. Wendel vom 20.1.15 "Frontalunterricht? Gruppenunterricht? Freie Arbeit?") Die deutschen Berufsverbände kritisieren das Fehlen von Berufsorientierung und ökonomischem Wissen. Diese Themen würden allenfalls und meist ohne Zusammenhang in Schulfächern wie Gemeinschaftskunde oder Ethikunterricht behandelt. Es gebe eindeutig Nachholbedarf, berufsorientierte Praktika würden mehr vermitteln als theoretisches Wissen.

Seit der ersten, das Land aufschreckenden PISA-Studie von 2001 hat sich aber einiges geändert. Das Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen stellt fest, dass Schüler inzwischen nicht mehr trockenen Stoff pauken, sondern ein Handwerkszeug zur Verfügung haben, mit dem sie alltägliche Dinge regeln können. Als Beispiel wird die Prozentrechnung genannt, die, richtig angewandt, dabei hilft herauszubekommen, wieviel Geld denn nun am Ende des Jahres auf dem Konto ist, wenn man den oder den Zinssatz angeboten bekommen hat, oder ob Sonderangebote sich wirklich lohnen.
In mehreren Bundsländern fließen weitere Dinge in den Unterricht ein. So wird beispielsweise behandelt, wie man ein Bankkonto eröffnet, sich gesund ernährt, welcher Zusammenhang zwischen Umweltbelastung und Ernährung besteht oder was beim Abschluss eines Mietvertrages zu beachten ist.

So sehr der Wunsch auch verständlich ist, mehr Wissen um Alltagsfertigkeiten in den Unterricht einfließen zu lassen, und so sinnvoll das sicherlich auch sein mag, so sehr müssen wir uns aber bewusst sein, dass Schule nicht alles leisten kann. 
Schule kann kein Ersatz für ein funktionierendes Elternhaus sein, bzw. alle Defizite, die durch ein eben nicht funktionierendes Elternhaus entstehen können, auffangen. Und darunter ist in keiner Weise zu verstehen, dass nun umgekehrt das Elternhaus die Schule zu ersetzen hätte, weil sich in der Schule nicht um Alltägliches gekümmert würde. Doch das Elternhaus ist nun einmal der Ort, der den Kindern auch und besonders Sozialkompetenz zunächst am besten vermitteln kann, schließlich verbringen die Kinder dort die meiste Zeit ihres Lebens von Kindesbeinen an. Wenn zu Hause die Kommunikation dem TV geopfert wird, das Smartphon auch beim längst nicht mehr gemeinschaftlichen Essen nicht mehr aus der Hand gelegt wird, dauernd auf Emails, SMS und Nachrichten aus den "Sozialen Netzwerken" geantwortet und Neues gepostet werden muss, so kann es nicht Aufgabe der Schule sein, das alles aufzufangen.
"Jeder ist seines Glückes Schmied", so sagt der Volksmund. "Aber nicht jeder hat Schmied gelernt", könnte man darauf antworten, doch das wäre zu kurz gegriffen. Schule kann und soll Grundlagen vermitteln, mithilfe derer das Erarbeiten von Weiterführendem möglich ist. Schule soll aber auch Allgemeinwissen lehren, das zu einer selbständigen Lebenweise führt. Und dazu gehört nun auch mal, dass hin und wieder vom Einzelnen angezweifelt wird, dass er das jemals wieder brauchen wird. Vielleicht ändert er jedoch später sein Lebensziel und würde plötzlich das vermissen, was er noch ein paar Jahre vorher als völlig sinnlos angesehen hatte.

Wenn man sich nicht selbst darum bemüht, auf die Grundlagen aufzubauen und dadurch weiterzukommen, wird Schule, egal in welcher Richtung nun unterrichtet wird und welcher Stoff zu vermitteln ist, kein Allheilmittel werden.

Die Nachhilfelehrer der AHA! Nachhilfe fördern, aber sie fordern auch. Sie lehren das Lernen, aber sie erwarten auch das Erlernen von Handwerkszeug wie beispielsweise Vokabeln in der entsprechenden Fremdsprache. 
Wie man einen Füller füllt oder wo man sich sinnvollerweise ein Schulheft kauft - das sollte sich jeder selber "erarbeiten".

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